Was ist das Pflichtteilsrecht?
Kann der Pflichtteilsanspruch reduziert oder ausgeschlossen werden?
Wie kann das Pflichtteilsrecht geltend gemacht werden?
In Österreich ist die gesetzliche Erbfolge immer noch mit Abstand am häufigsten. Tatsächlich nur jeder Fünfte[1] steuert selbst seinen Nachlass durch eine letztwillige Verfügung, wie beispielsweise ein Testament. In der Juristensprache wird ein solcher Vorgang gewillkürte Erbfolge oder Testierfreiheit genannt. Darunter ist konkret zu verstehen, dass jeder frei darüber entscheiden kann, was nach seinem Ableben mit dem hinterlassenen Vermögen geschieht und wer dieses bekommt. Eine letztwillige Verfügung beseitigt die gesetzliche Erbfolge. Der Vererbende bestimmt mit einem individuellen Nachlassdokument selbst, wen er als Erben einsetzt.
Wem steht der Pflichtteil zu?
Der Grundsatz der Testierfreiheit hat jedoch mit dem Pflichtteilsrecht eine unausweichliche Schranke. Im Einklang mit dem Prinzip der Familienrechtsnachfolge sollen die nahen Angehörigen zumindest einen Mindestanteil am Erbe erhalten. Dem Pflichtteilsrecht liegt ein Ausgleichsgedanke für die verkürzten Erben zugrunde. Es beabsichtigt die testamentarisch verfügte Ungleichbehandlung etwas abzufedern. Das Pflichtteilsrecht betrifft jene Fälle, bei welchen ein enges Familienmitglied testamentarisch nicht bedacht wurde, obwohl diesem nach dem Gesetz ein Erbrecht zustünde.
Beispiel: Verstirbt ein verheirateter Familienvater mit zwei Kindern ohne Testament und hinterlässt ein Vermögen von € 30.000,00, so bekommt jeder nach dem Gesetz davon ein Drittel, also € 10.000,00. Hat der Verstorbene aber ein Testament gemacht und als Alleinerbin ausschließlich seine Ehefrau eingesetzt, so haben die beiden Kinder einen Pflichtteilsanspruch. Dieser besteht aus der Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs. Die Mutter bekommt demnach, obwohl sie Alleinerbin ist, nur einen Betrag von € 20.000,00. Den beiden Kindern verbleibt jeweils ein Anspruch auf € 5.000,00.
Beschränkung des Pflichtteilsanspruchs
Der Vererbende kann unter engen gesetzlichen Voraussetzungen den Pflichtteil ganz oder teilweise entziehen. Eine volle Enterbung ist möglich, wenn der Pflichtteilsberechtigte seine familienrechtlichen Pflichten gröblich vernachlässigt hat, innerhalb der Familie schweres seelisches Leid verursacht oder gar gegen ein enges Familienmitglied mit Vorsatz eine schwere Straftat verübt hat.
Relevanter ist die Pflichtteilsminderung. Mit diesem Instrument kann der Anspruch auf den Pflichtteil noch einmal um die Hälfte reduziert werden, also auf ein Viertel des gesetzlichen Erbanspruchs. Eine Pflichtteilsminderung ist möglich, wenn zwischen dem Verstorbenen und dem Pflichtteilsberechtigten zumindest über einen längeren Zeitraum (rund 20 Jahre) kein Naheverhältnis bestand. Diese Möglichkeit besteht jedoch nicht, wenn der Verstorbene den Kontakt grundlos beendet hat oder er selbst Anlass für den fehlenden Kontakt gegeben hat.
Ein Pflichtteilsberechtigter kann auch auf seinen Pflichtteil verzichten. Dies geschieht gewöhnlich dann, wenn ein Erbe schon zu Lebzeiten einen Teil des Vermögens erhalten hat. Der Verzichtende behält aber seine Rechte als gesetzlicher Erbe. Ein Pflichtteilsverzicht bedarf eines Notariatsaktes oder einer gerichtlichen Beurkundung.
Durchsetzung des Pflichtteilsanspruchs
Die Höhe des Pflichtteils bestimmt sich aus dem Wert der Verlassenschaft. Für die Durchsetzung ist maßgeblich, ob der Vererbende den Pflichtteil in seinem Testament mitberücksichtigt hat oder nicht. In ersterem Fall besteht die Möglichkeit den Pflichtteil auch als Teil des Gesamterbes zu überlassen. Auch Zuwendungen auf den Todesfall oder in Form eines Vermächtnisses, also der Überlassung nur einzelner Vermögenswerte, sind möglich. Beachtenswert ist, dass Schenkungen zu Lebzeiten an pflichtteilsberechtige Personen unbeschränkt zur Verlassenschaft hinzugerechnet werden.
Bleibt der Pflichtteil im Testament unerwähnt und liegen auch keine anrechenbaren Schenkungen zu Lebzeiten vor, hat der Pflichtteilsberechtige einen schuldrechtlichen Anspruch gegenüber der Verlassenschaft bzw. nach deren Abwicklung (Einantwortung) gegenüber den Erben. Der Anspruch entsteht zwar mit dem Ableben, kann aber erst ein Jahr nach dem Ableben eingefordert werden. Der Pflichtteil ist dann ausschließlich in Geld zu leisten. Neu ist, dass die Auszahlung des Pflichtteils gestundet werden kann.
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[1] Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf eine geschlechtsneutrale Differenzierung verzichtet.